Als botanisches Nackerpatzl handelt man sich beim Gruppen-Kennenlernspiel im Nationalpark Thayatal schnell einmal einen blöden Spitznamen ein. Nationalparkdirektor Christian Übl hatte bei einer Wanderpause die Idee, jeder solle sich auf der Wiese etwas suchen, das denselben Anfangsbuchstaben hat wie sein eigener Name. Verena hat es sich mit einem Veilchen leicht gemacht. Eva hat irgendein Grünzeug hergezeigt und was Lateinisches gesagt, das mit E anfängt. Der Direktor war beeindruckt. Aber nur kurz.
Weil die einzigen Pflanzen, die ich einwandfrei erkenne und die mit G beginnen, die Gurke und der Granatapfel sind, musste ich improvisieren. Auf dem Weg zur Wiese vor der neuen Hängebrücke, die den tschechischen und den österreichischen Teil des grenzübergreifenden Nationalparks verbindet, habe ich aufgesammelt, was Besucher vor mir verloren oder weggeschmissen haben. Tschickstummel, Taschentücher, Papierln. Kurzum Glumpert – wienerisch wie "Gaugau" –, das ich nun aus der Hosentasche zog und präsentierte. Dass in meinem Fall gleich die ersten drei Buchstaben mit dem Nachnamen zusammenpassten, beeindruckte niemanden. Das "Glander" der Brücke als Alternative zu nehmen ging dann schon unter. Und Gras ist mir, eh klar, erst eingefallen, als ich schon das Gespött der Runde und fortan der Herr Glumpert war. Doch damit nicht genug.
"Da schau, eine Wildkatze", sagt Christian Übl, als wir wieder unterwegs sind. Ich, sofort hektisch, frage: Wildkatze, wo? Es war eine aus Eisenblech, zweidimensional, die man im Nationalpark dort und da in der Nähe der Wege aufgestellt hat. Kinder seien sehr geschickt, sie zu entdecken. Zumindest die Attrappen. Denn es gibt im Nationalpark Thayatal auch echte Wildkatzen. Eine Zeitlang galten sie als ausgestorben, nun weiß man, dass zumindest wieder zwei Exemplare hier leben. Aber die Fellnasen sind scheu und so gar nicht kuschelig. Zwei weitere wohnen direkt beim Nationalparkzentrum in Gehegen. Ja, inzwischen getrennt. Der Kater Carlo ist schon so alt, dass man befürchtete, er würde sein Werben um die Gunst von Frieda nicht überleben, gäbe sie sich ihm hemmungslos hin.
Im Gehege müssen sie leben, weil sie gerettet wurden und wohl auch nicht mehr ausgewildert werden können. Zudem sind sie nicht nur für Kinder Besuchermagneten und helfen so dem Nationalpark, sein Engagement für den Naturschutz in die Breite zu tragen. Aber man erkennt auch so, dass ein Nationalpark ein Gebiet ist, in dem der Mensch eingreift.
Laut Eigendefinition geht es in Nationalparks darum, "einzigartige Landschaften und Lebensräume seltener, charakteristischer und bedrohter Tier- und Pflanzenarten dauerhaft zu erhalten". Dafür brauche es eben die gezielten Eingriffe. Etwa Neophyten entfernen – oder auf Glumpert-Deutsch: eingewanderte Pflanzen ausreißen – den Wildbestand kontrollieren – da sag ich jetzt nicht, wie ich das nenne – oder Schautafeln und Blechkatzen aufstellen. Auch Nadelbäume wurden aus dem ursprünglichen Laubbaumwald im Thayatal entfernt.
Würde man diese Eingriffe nicht machen, würden eingewanderte Pflanzen die einheimischen verdrängen, und gach ginge es auch den Wildkatzen an den Kragen. "Nur mehr drei Prozent der Fläche Österreichs sind natürliche Lebensräume", sagt Christian Übl und erinnert daran, dass es meist Kraftwerksprojekte waren, die zum Auslöser für Nationalparks wurden – weil sich Anrainer um die Landschaft sorgten und diese erhalten wollten. Beim Nationalpark Donau-Auen war es auch so. Doch zu dem kommen wir später.
Im Thayatal liegen 1.358 Hektar Nationalpark in Österreich, 6.260 Hektar in Tschechien. Für die meisten Betrachtungsweisen ist das positiv, und die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Zum Knackpunkt können aber nationale Gesetze werden.
Im Thayatal verläuft die Grenze in der Mitte des Flusses, und während auf der österreichischen Seite sehr strenge Fischereigesetze greifen, um den Bestand ursprünglich zu erhalten, schaut die Sache auf der tschechischen Seite anders aus. Weil die Fische nicht darüber Bescheid zu wissen scheinen, auf welcher Seite welche Art wie leben dürfen soll, geht der Plan des Nationalparks diesbezüglich nicht perfekt auf. Aber man arbeite daran, das zu verbessern, versichert auch ein Nationalpark-Mitarbeiter von der tschechischen Seite.
Ein sehr ungewöhnliches Schwimmtier sorgte beim Besuch im Nationalpark Donau-Auen für große Augen – und kurzzeitig hektische Paddelschläge in dem riesigen Schlauchboot, in dem wir die Donau herunterfuhren. Mitten in einem Seitenarm ragt auf einmal der Kopf eines Rehbocks aus dem Wasser. Doch die Ranger beruhigten sofort. Das Tier ist nicht in Gefahr, im Gegenteil, es ist auf dem Weg von einer Insel zurück ans Ufer, ein guter Schwimmer. Sichtungen wie diese seien gar nicht so ungewöhnlich.
Im Nationalpark Donau-Auen ist der Spagat, den man zwischen Natur und menschlichen Bedürfnissen machen muss, deutlich größer als im Thayatal. Der 9.600 Hektar große Nationalpark liegt teilweise in einer Großstadt – Wien –, und überhaupt wird das Gebiet von kommerzieller Schifffahrt genutzt. Umso erstaunlicher ist, was man hier erreicht hat, um die Natur zu erhalten. Ufer wurden rückgebaut, und die Donau kann sich wieder einigermaßen frei bewegen – jedes Jahr kommen neue Bereiche dazu. Für die Schifffahrt ist nur noch die Fahrrinne befestigt.
So hat der Fluss eine einzigartige Landschaft geschaffen, für die Menschen aus aller Welt herkommen. Hier dürfen Inseln wieder von der Donau wegerodiert werden, damit sie anderswo wieder entstehen. Diese Bruchkanten sind beeindruckend schön und ein wertvoller Lebensraum, etwa für den Bienenfresser.
Nur mit dem Twin City Liner hat man im Nationalpark eine ziemliche Not. Die Wellen, die er schlägt, sind im Uferbereich so stark, dass Fischlarven, die dort abgelegt wurden, der Reihe nach sterben, weil sie an Land gespült oder gegen das Ufer geschlagen werden. Zu absehbaren künftigen Problemen wie dem Lobautunnel oder einer angedachten Wasserentnahme für den Neusiedler See äußert sich Nationalparkdirektorin Edith Klauser hingegen äußerst sanftmütig. Das schaue man sich alles an, wenn es so weit sei, könne man das Gesagte zusammenfassen. Vielleicht hofft man, dass das alles eh nicht kommt.
Wer aber regelmäßig kommt, das ist der Bus. Gleich vier Buslinien fahren den Schlossplatz in Orth an der Donau und damit das Nationalparkzentrum an. Von Wien aus dauert die Reise im Idealfall rund eine Stunde. Zum Nationalpark Thayatal in Hardegg kommt man ebenfalls mit dem Bus, der vom Bahnhof Retz abfährt.
Die Anreise mit den Öffis nach Orth oder Hardegg hat gleich mehrere Vorteile. Zum einen schont man so die Umwelt und hält den Nationalparkgedanken hoch. Zum anderen ist es entspannter – und man nimmt vielleicht auch weniger Klumpert mit, das man dann unterwegs in der Natur verlieren kann. (Guido Gluschitsch, 2.6.2023)
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